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Meine kurze Jugendzeit
Die Biografie eines Dienstmädchens, 1910 - 1914, Seite 2
Kapitel 1 : Ein unterschiedliches Willkommen
Kapitel 2 : Lob und Tadel
Kapitel 3 : Die grosse Freundin
Kapitel 4 : Gegenseitige Hilfe
Kapitel 5 : Ein neuer Start, 1911/12
Kapitel 6 : Die Kaufmannsgehilfin
Kapitel 7 : Die lustige Seite des Lebens
Kapitel 8 : Mariannes Verehrer
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Die grosse Freundin

Eines Tages, als die Ehefrau bei ihrer Freundin - Frau Riebling, eine Gastwirtschaftsfrau - zum Geburtstag eingeladen war und der Hausherr mit Marianne alleine am Kaffeetisch saß, da erzählte er ihr, er bedaure es sehr, daß er keine Kinder hätte. Sein einziger Bruder sei mit seiner Ehefrau durch ein tragisches Unglück ums Leben gekommen. Das einzige Kind, das sie hatten, war am Leben geblieben. Dieses Kind hätte er dann als sein Eigen angenommen, da aber seine Ehefrau keinen Sinn für Kinder hätte, so hätte er dieses Kind zu guten Bekannten gegeben, daß es gepflegt und erzogen würde. Da dieses Mädchen ja auch nicht mehr so klein sei, würde er ihr schreiben, mal zu ihm zu kommen. Sie würde hier ja passende Gesellschaft vorfinden und Marianne wäre auch nicht mehr alleine bei der Arbeit, wenn seine Ehefrau am Nachmittag zum Kartenspielen zu ihrer Freundin geht.
Marianne war über diesen Plan, den der Gemeindevorsteher ihr anvertraut hatte, sehr glücklich und froh. Ja, aber auch etwas anderes machte sie froh : daß sie die erste Zeit als junges Dienstmädchen so gut überstanden hatte, bei einer kalten, herzlosen Ehefrau, die keine Kraft besaß, ein bißchen warme Nächstenliebe auszustrahlen...............
Voller Jubel und Lustigkeit stimmte sie ein schönes Frühlingslied an, nahm die Gartengeräte und ging in den schönen großen Garten, um die übernommenen Arbeiten auszuführen.

Wie dann eines Tages der Besuch mit einer Postkutsche und zwei großen braunen Pferden davor von der Stadtbahn Ohlstedt abgeholt wurde, die Postkutsche dann vor der Haustür stand und eine große schlanke Dame Marianne ihren kleinen Koffer reichte, da war Marianne doch ein bißchen enttäuscht. Es war kein Mädchen von 14 Jahren, so wie sie, sondern eine große schlanke Person von 18 Jahren, die in ihrem gut sitzenden grauen Kostüm wie eine vornehme Dame wirkte. Wie Marianne nun der jungen Frau den Koffer abnahm, sah diese
wohl die Enttäuschung in ihrem Gesicht. Deswegen nickte sie ihr freundlich zu und sagte :
"Oh, was hast Du für prachtvolles schwarzes Haar und so lange dicke Zöpfe ! So etwas Schönes habe ich noch nicht gesehen. Es ist wohl morgens sehr schwer, die Haare zu ordnen, aber ich werde Dir dabei behilflich sein. ". Marianne lächelte ihr freundlich zu und nickte mit dem Kopf. Dies sah auch Frau U. und wurde sehr böse. Sie sagte in einem herrischen Ton zu ihrer Nichte :"Ich bitte Dich, zieh' Dich um, mach Dich frisch zum Essentisch und dann unterhält man sich nicht so lange mit einem Dienstmädchen und läßt Onkel und Tante warten!"
Dann drehte sie sich zu Marianne ." Ab morgen ist Dein Essenplatz in der Küche, wir haben ja jetzt Besuch. Da gehört es sich nicht, daß das Dienstmädchen mit uns gemeinschaftlich an einem Tisch sitzt !" Als dies ihr Mann hörte, sagte er enttäuscht ." Aber liebe Frau, wie konntest Du so zu dem kleinen Mädchen sprechen, das hört sich ja so an, als wenn sie etwas verbrochen hat. Kann sie denn heute nicht noch mit uns in der Stube essen, denn in der Küche ist es ja kalt und sie wird sich verlassen fühlen." Da antwortete ihm seine Ehefrau in einem herrischen Ton :"Ja, heute noch, aber ab morgen in der Küche ! Sie ist ein Dienstmädchen und muß sich daran gewöhnen."

Der Nichte war das Ganze nicht recht, aber sie war ja Onkel und Tante zu Dank verpflichtet , da mußte sie eisern schweigen. Sie nickte Marianne freundlich zu, aber so, daß die Tante es nicht merken konnte und es dauerte nicht lange, da waren die beiden Mädel die besten Freundinnen. Die junge Dame verstand es fabelhaft, die Tante zu täuschen und diese fand keine Gelegenheit, die Freundschaft zu zerstören.
Wenn sie dann abends im Zimmer saßen und Marianne erzählte ihr von der romantischen Kinderzeit, die sie in großen Tannenwäldern, in der Einsamkeit von Moor und Heide verlebt hatte, dann war die junge Dame immer so begeistert, daß sie öfter sagte :" Oh, es ist so wundervoll, das alles zu hören. Es hört sich immer alles so an, wie im schönsten Märchenbuch !" Eines Sonntags war Frau U. zu einer Geburtstagsfeier bei ihrer Freundin eingeladen. Der Gemeindevorsteher war zwar auch eingeladen, aber er hatte keine Zeit, er mußte schriftliche Arbeiten vorbereiten für eine Sitzung am nächsten Tag. Da Frau U. nun fort war, fühlten sich die beiden Mädel viel freier. Die junge Dame ging zu ihrem Onkel ins Büro und fragte ihn um Erlaubnis, ob sie nicht ein bißchen mit Marianne in die Heide und in den großen Tannenwald gehen durfte, wo das große Kaisermanöver 1905 stattgefunden hat. Dies hätte Marianne in ihrer Schulzeit miterlebt. Der Onkel willigte ein und bekam aus Dankbarkeit von ihr einen schönen Kuß auf die Wange. Die beiden Mädels versprachen, um 6 Uhr zur Abendbrotszeit wieder bei ihm zu sein.
Der Onkel freute sich und war froh, daß seine Nichte eine gute Freundin gefunden hatte, denn seine Ehefrau konnte keinen Kontakt zu den beiden Mädchen finden. Er war wegen seiner Nichte schon sehr besorgt, denn er hatte sie früher schon ein paarmal dabei überrascht, wenn sie in ihrem Zimmer saß und weinte. Sie hatte ja Vater und Mutter so früh verloren.
Er hatte längst gemerkt, daß sie in sich verschlossen war und um ihre Gesundheit Angst gehabt. So gab er nun sehr erleichtert seine Zustimmung.

Die junge Dame faßte auch Marianne vor Freude um den Hals und die Tränen der Freude liefen ihr die Wangen herunter. Als die beiden dann den Tannenwald erreicht hatten und die scheinbar unendliche Heidefläche, die sich über Harksheide bis Quickborn erstreckte, über- blicken konnten, setzten sie sich auf einen kleinen Wall und die junge Dame machte ihr Herz ordentlich frei von der Last, die sie im Geheimen immer mit sich trug. Sie erzählte Marianne von dem Unfall, bei dem sie mit sieben Jahren Vater und Mutter verloren hatte und sie hätte nie wieder die warme Elternliebe verspürt. Die Menschen, zu denen man sie in Pflege gegeben hatte, waren alle lieblos, kalt und abweisend gewesen. Keiner hatte die Kraft, warme Nächstenliebe ausstrahlen zu lassen so daß sie bald versagt hätte, als die Tante ihr auch noch so kalt und lieblos bei der Postkutsche entgegen gekommen sei. Aber sie hätte in den klaren, dunklen Augen des kleinen, zarten Mädchens gleich die Wärme erkannt und gefühlt, da hätte sie mit einem Mal alles Schlechte überwunden.

Sie erzählte dann auch noch, daß die Tante über Mariannes Mutter nicht gut gesprochen hätte.
Sie könne es nicht begreifen, daß Mariannes Mutter so dumm und gleichgültig sei, sich so viele Kinder anzuschaffen. Die vielen Kinder bringen doch nur viel Arbeit und Ungemütlichkeit ins Haus. Die Frau würde nur mit Arbeit und Sorgen belastet und hätte nichts von ihrem schönen Leben. Auch würde sie später von ihren Kindern keinen Dank ernten, wenn sie mal älter ist.
Marianne antwortete in tröstendem Ton ."Die Tante hat meinen Eltern sehr Unrecht getan. Wenn sie auch viele Kinder ernähren mußten, aber gehungert haben wir nie. Es war immer genügend kräftiges Essen auf dem Tisch, so daß sich jeder satt essen konnte. Wir sind zu guten, gerechten, ehrlichen und strebsamen Menschen erzogen worden. Mein Vater war immer fleißig, strenge und gerecht. Lügen und Schlechtigkeiten ließ er nicht durchgehen.
Es mußte alles gleich "gereinigt" werden, damit er immer "klare Sicht" erhielt. Er setzte den Kern des "eisernen Willens des Schweigens" schon früh in der Kinderzeit, der mit dem Wort "Gehorchen" entsteht und dem Menschen die Kraft gibt, alles geduldig zu ertragen, was das Schicksal einem im Leben entgegenbringt. Die warme Nächstenliebe haben wir nie entbehrt, Neid, Eifersucht, Charakterlosigkeit, Haß, Gleichgültigkeit und Faulheit kenne ich nicht."

Sie sagte weiter :"Wir kamen vor unserer Schulzeit ja auch selten mit fremden Menschen zusammen. Nur der Jäger vom Gutshof, mit seinem treuen Jagdhund, der besuchte uns öfter
in den "Dummejahn" an dem großen Tannenwald, wenn er auf Hasenjagd ging, um einen Sonntagsbraten zu haben."


Ja, liebe Leser und Leserinnen, diese Tante, Frau U., die solche schlechten Bemerkungen gemacht hatte, hat gewiß keine gute Erziehung von ihren Eltern mitbekommen. Sie kennt gewiß keine warme Nächstenliebe von ihren Eltern und es scheint so, als wenn die Eltern von Frau U. sich nicht um die Zukunft ihres Kindes gekümmert hätten. So hat sich diese Gleichgültigkeit zum Schaden des Kindes ausgewirkt. Deswegen kann man immer wieder raten und sagen, es ist dem Kleinkind zum großen Vorteil, schon frühzeitig zu lernen, was die warme Nächstenliebe bedeutet und welchen Wert es in sich trägt. Nur das Gute und Beste bricht sich Bahn frei und kämpft sich durch die Hindernisse hindurch. Beobachtet die Natur, die dem Guten den Vortritt gibt und das Schlechte ganz sachte beiseite schiebt. Damit das Gute die Freiheit bekommt und sich zu einem guten, starken Grundsatz entwickeln kann........

Gegenseitige Hilfe

Daß die beiden Mädel gute Freundinnen waren, gab Marianne die Kraft, bei dieser lieblosen Frau U. ein Jahr auszuhalten, um ihr Pflichtjahr zu beenden.
Das fiel schwer, denn sie hatte Marianne so hart an den Kopf geschlagen, daß das Ohr feuerrot wurde und anschwoll und die Wange blutunterlaufen war. Marianne war in der Küche beschäftigt und hatte die Milch zum Kochen aufgesetzt, als Frau U. aus der Poststube sie aufforderte, sofort zu ihr zu kommen. Dabei war dann die Milch übergekocht. Darüber geriet Frau U. in solchen Jähzorn, daß sie Marianne nicht nur schalt, sondern so heftig schlug. Als sie dann die Küche verließ, schlug sie die Küchentür so hart zu, daß die Fensterscheiben draußen auf dem Fußboden in Stücken lagen.
Wie die junge Dame dann in die Küche trat und sah, daß Marianne in einer Ecke stand und bitterlich weinte und am ganzen Körper zitterte, trat sie heran und sagte tröstend : " Weine nicht mehr, Marianne, das ist die Tante gar nicht wert. Ich werde Dich befreien, zu meinem Onkel gehen und ihn bitten, daß er eine Kündigung unterschreibt, daß Du, wenn Dein Pflichtjahr vorbei ist, wieder frei bist. Ich werde es bei meinem Onkel erledigen, ohne daß die Tante es zu wissen bekommt."
Der Onkel hatte Verständnis dafür, er fand auch, es sei das Beste, wenn das kleine Mädel das Haus verlasse. Denn er besaß keine Macht, seine Ehefrau zur Vernunft zu bringen und zu ändern. Die junge Dame ging auch zu Mariannes Vater, der auf dem Gutshof nebenan arbeitete und bereitete ihn darauf vor. Wie sie ihm nun erzählt hatte, was alles vorgefallen war, da war er auch der Meinung, daß es für die Gesundheit seiner Tochter die beste Lösung sei. Sie ging auch zu Mariannes Mutter und sagte, daß Marianne bald nach Hause käme, um sich dann eine andere Arbeitsstelle zu suchen.

Als die Tante der jungen Dame eine Einladung zur Hochzeit ihrer Schwester in Dänemark bekommen hatte, so mußte sie ja mehrere Wochen fortbleiben, damit die weite Reise ins Ausland sich auch lohnte. Dies nutzte die junge Dame ganz geschickt aus, die Zeit wurde von dem Onkel so in die Länge gezogen, daß sie erst wieder zurückkehrte, als das Mädchen ihr Pflichtjahr beendet hatte. Wenn dann die Tante heimkam von der Reise, dann war eben das kleine Mädchen nicht mehr da.

Aber vorher noch passierte eines Tages der jungen Dame ein Unglück. Beim Maschinennähen einer Schürze, die sie sich selber anfertigen wollte, geriet die Nadel in das Nagelbett des Daumens und brach ab. Die junge Dame schrie laut um Hilfe. Marianne war wie der Blitz bei ihr, und sah, was geschehen war. Da zog sie die abgebrochene Nadel mit den Zähnen wieder heraus. Als Marianne die Nadel auf den Tisch legte, da fiel die junge Dame in Ohnmacht und lag vor ihren Füßen auf dem Teppich. Schnell wurde sie aufgenommen und behutsam auf das Sofa gelegt, das neben ihr stand.
Der Gemeindevorsteher rief dann den Arzt an, der in dem kleinen Kirchdorf Tangstedt seinen Wohnsitz hatte und deswegen auch schnell zur Stelle war.
Der Arzt fragte den Gemeindevorsteher : "Wo kann ich denn den Samariter finden, der mir die schwerste Arbeit schon abgenommen hat ?" Er bekam zur Antwort : "Da müssen Sie in die Küche gehen, aber es ist kein Er, sondern eine Sie." Der Arzt kam ganz aufgeregt in die Küche hinein. Marianne war sehr erschrocken und schaute ihn entsetzt an : "Oh, hab' ich jetzt etwas verkehrt gemacht, und bleibt sie jetzt tot ?" Aber der Arzt trat näher an sie heran und sagte :
"Aber mein liebes Kind, beruhige Dich, denn Du hast es großartig gemacht mit Deinen Zähnen! Das war das sauberste und zuverlässigste Werkzeug, was Du benutzen konntest. Aber sag mal, wo hast Du die Kraft und den Mut hergenommen, um einem Arzt solche Arbeit abzunehmen ?" Marianne antwortete, noch zitternd : "Ich konnte es nicht mit ansehen, daß sie solche furchtbaren Schmerzen aushalten mußte."

Dann fragte der Arzt : "Aber lieber Gemeindevorsteher, wo haben Sie sich denn dieses tapfere, schwarzhaarige Mädchen hergeholt, doch wohl nicht aus dem Märchenland, wo solche Königskinder aufzufinden sind ?" "Oh, nein", antwortete der mit einem Lächeln, "da braucht man nur den breiten Fahrweg zu dem großen Tannenwald zu nehmen, bei dem großen Heidegelände. In diesem großen Wald hat der König sein Schloß aufgebaut, wo er seine Königskinder verborgen hält." Wie Marianne nun hörte, daß der Gemeindevorsteher das alte strohgedeckte Elternhaus als Königsschloß bezeichnete, da mußte sie doch lachen und hatte das Weinen vergessen.
Aber da schlug ihr der furchtbare Geruch von dem angebrannten Mittagessen entgegen und sie sagte weinerlich : "Aber jetzt stehe ich vor einem Rätsel, wo soll ich nun das Mittagessen hernehmen, denn mir ist das Essen angebrannt." Die Tränen standen ihr wieder in den Augen und sie war dem Weinen nahe. Da trat der Gemeindevorsteher ganz nahe an sie heran und sagte fröhlich und beruhigend : "Aber mein liebes Kind, das ist doch kein Grund zum Sterben, das ist ganz leicht zu überbrücken. Für den Hunger wird unser Bäckermeister, Herr Schmidt, gewiß noch etwas in seinem Laden haben. Ich werde mein Fahrrad nehmen und schöne frische Semmeln holen, und schönen Kuchen als Nachtisch dazu. Du kochst uns dann in der Zwischenzeit einen schönen Bohnenkaffee. Unser lieber Arzt wird die Einladung zu einer Tasse Kaffee sicher nicht abschlagen."

Als Marianne den Kaffeetisch fertig gedeckt hatte, war der Gemeindevorsteher auch wieder da. Er legte die frischen Semmeln auf den Tisch, die würzig dufteten, und auf einer Kuchenplatte sah man die schönsten Kuchenstücke, mit Schlagsahne bedeckt und mit roten Kirschen verziert. Der Arzt meinte dazu : "Das wird die Doktorarbeit doch noch sehr gut belohnen und den häßlichen Geruch vom angebrannten Mittagessen gewiß vertreiben."
Es wurden dann bei Tisch von den Männern noch viele witzige Geschichten erzählt.

Die junge Dame war Marianne sehr dankbar und begleitete sie auch durch den Tannenwald zu ihren Eltern, um ihre Geschwister kennen zu lernen. Die Geschwister waren von ihr ganz begeistert, denn sie brachte oft Leckerbissen und Schokolade mit. So wurde die junge Dame dann die "schöne gute Tante" genannt.

Eines Tages hatten dann die Großeltern G. Marianne's Eltern ein kleines Häuschen in Tangstedt gekauft. Es war in der Nähe der Kirche und Schule, so daß Marianne von ihrer Arbeitsstelle nur 10 Minuten zu gehen brauchte.
Wie nun die Zeit kam, da Marianne Abschied nehmen mußte, standen dem Gemeindevorsteher und seiner Nichte die Tränen in den Augen. Man wünschte ihr alles Gute und der Gemeinde- vorsteher bat, sie möchte ihn beim Bund der Ehe nicht vergessen, er möchte ihr den Segen geben und die Hand drücken (er war ja auch Standesbeamter). Dieser Wunsch wurde ihm dann wenige Jahre später ja auch erfüllt.

Die Ehefrau des Gemeindevorstehers hat aber nie wieder ein Dienstmädchen bekommen, das es ein Jahr bei ihr ausgehalten hat. Sie sind höchstens 14 Tage geblieben, dann sind sie wieder geflüchtet. Ihr Mann hat noch manches junge Ehepaar auf den Lebensweg gebracht und als Lohn für seine Nächstenliebe vom Schicksal einen schmerzlosen Übergang in das Unendliche bekommen.

Die junge Dame erzählte dann an einem Abend : "Du möchtest ja gerne wieder eine neue Arbeitsstelle haben. Ich wüßte eine für Dich, denn die Tante hat dem Onkel erzählt, daß sie bei der letzten Geburtstagsfeier im Gasthaus Riebling eine ältere Dame kennengelernt hat. Die sucht für ihre Tochter im Dorf Wilstedt ein Dienstmädchen, das gut mit Kindern umgehen kann. Ich glaube, das wäre eine gute Stelle für Dich und ich bin schon bei der Dame gewesen, um Vorsprache zu halten. Sie wohnt hier in der Nähe der Kirche. Wenn Du nicht alleine gehen magst und Deine Mutter keine Zeit hat, werde ich gerne mit Dir hingehen."
Am nächsten Abend gingen die beiden Mädel zu der alten Dame, Frau B. Sie wurden zu Kaffee und Kuchen eingeladen und die alte Dame fand Gefallen an Marianne. Es stellte sich heraus, daß sie auch Mariannes Eltern schon von früher kannte und sie setzten gemeinsam gleich einen Brief auf. Auf dem Heimweg steckten sie ihn in den Briefkasten und es dauerte auch nicht lange, da erhielt Marianne einen Brief mit der Antwort, daß sie angenommen war und sie und ihre Freundin waren überglücklich.

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© Peter Dörling

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