Meine kurze Jugendzeit
Die Biografie eines Dienstmädchens, 1910 - 1914, Seite 1
ENGLISH VERSION
Im Alter von 74 Jahren schrieb Frau E.A. (geb. 1896) ihre Erinnerungen an die Jugendzeit auf, in denen sie sich selbst "Marianne" nennt. Sie wollte damit wohl auch ihre ethischen und moralischen Grundsätze an ihre Kinder und Enkelkinder weitergeben. Der Text ist zwar leicht gekürzt, aber unverfälscht abgeschrieben.
Bitte urteilen Sie nicht "das liest sich ja wie ein kitschiger Roman", sondern bedenken Sie, daß hier keine Schriftstellerin, sondern eine einfache, bescheidene Frau mit wenig Schulbildung versucht, einen Teil ihres Lebens zu beschreiben.
Diese kurze Geschichte ist ein Blick in eine Welt, die den meisten von uns wohl fremd ist.
© Peter Dörling
Kapitel 1 : Ein unterschiedliches Willkommen
Kapitel 2 : Lob und Tadel
Kapitel 3 : Die grosse Freundin
Kapitel 4 : Gegenseitige Hilfe
Kapitel 5 : Ein neuer Start, 1911/12
Kapitel 6 : Die Kaufmannsgehilfin
Kapitel 7 : Die lustige Seite des Lebens
Kapitel 8 : Mariannes Verehrer
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Ein unterschiedliches Willkommen


Ja, mit der Konfirmation hatte die romantische Kinderzeit ihr Ende genommen. Der Vater von Marianne hatte "ihr Fell verkauft", wie er es nannte, an die Ehefrau des Herrn U., der Gemeindevorsteher, Standesbeamter und Postmeister des kleinen Kirchdorfes Tangstedt (nördlich von Hamburg) im Kreis Stormarn war.

Gleich nach Ostern tat sie den ersten Schritt in das zukünftige Leben. Wie romantisch sich dieses Leben gestalten würde, hatte das Schicksal ihr noch nicht verraten (sie war 14 Jahre) .
Aber als sie das Elternhaus verlassen hatte, um nun alleine in das zukünftige Leben zu treten, da sollte sie bald erkennen, daß es auch verschiedene Menschen auf der Welt gibt.
Nicht nur jene, die warme Nächstenliebe kennen und einsetzen, um ihren Mitmenschen etwas Gutes zu tun, damit das Leben seinen Wert nicht verliert. Sondern auch solche schlecht gesinnten Menschen, deren schlechter Charakter von Teufelshand geleitet wird.

Es fing schon gleich bei der ersten Dienststelle an, wo sie schon vor der Konfirmation manchmal nachmittags wenn sie aus der Schule kam, gearbeitet hatte, um sich die nötigen Kleidungsstücke zu verdienen, die ihre Eltern ihr nicht kaufen konnten und die sie zu ihrer Einsegnung in der Kirche brauchte.


Die erste Begrüßung mit der Ehefrau bei dieser Dienststelle war kalt und herzlos, dagegen die des Ehemannes freundlich und er zeigte ein liebevolles Gesicht. Als er sie in die Wohnstube führte, sagte er zu ihr :" Liebes Mädel, ich wünsche Dir ein herzliches Willkommen in unserem Hause und ich hoffe, daß Du mit meiner Ehefrau gut auskommst."
Diese schlichten, liebevollen Worte gaben dem Mädel die Kraft und den Mut, diese Dienststelle anzutreten und entgegenzunehmen, den Dingen ins Auge zu schauen, die da kommen würden. Marianne bedankte sich freundlich für diese Begrüßung und sagte : " Ich werde alles tun, um Ihre Wünsche zu erfüllen !".

Ja, wenn der Ehemann auch so kalt und abweisend gewesen wäre wie seine Ehefrau, ich glaube, dann wäre dieses kleine, gut erzogene Mädchen gleich wieder geflüchtet und hätte es nicht ertragen können. Aber so kamen ihr gleich die Ermahnungen in Erinnerung, die der Vater ihr mitgegeben hatte.
Als sie das Elternhaus verlassen mußte, sagte er ihr beim Abschied : "Bleibe immer höflich zu Deinen Mitmenschen. Erfülle gerne die Verpflichtungen, die Du übernommen hast und führe sie mit warmer Nächstenliebe aus. Tue Deinen Mitmenschen nie etwas Schlechtes an, dann kommst Du im Leben immer zurecht. Bleibe strebsam, ehrlich und gerecht, halte Deinen Buckel gerade und aufrecht und sei rein, daß Dir keiner etwas Schlechtes nachsagt und Du Deinen Mitmenschen immer gerade in die Augen schauen kannst !"

Erst war Marianne ein bißchen befangen, aber als sie an diese Worte ihres Vaters dachte, faßte sie wieder frischen Mut und in fröhlicher Stimmung betonte sie nochmals :" Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um mit Ihrer Frau gut auszukommen."
Da machte der Hausherr ein fröhliches und dankbares Gesicht, bedankte sich für ihre guten Vorsätze und bot ihr einen Stuhl an. Leider konnte er sich mit ihr nicht länger unterhalten, da er sich an seine Arbeit und seine Verpflichtungen erinnerte. Er war ja nicht alleine Postmeister, sondern auch noch Gemeindevorsteher und Standesbeamter im kleinen Kirchdorf Tangstedt bei Wohldorf.
Die Ehefrau aber blieb kühl und abweisend und besaß nicht die Kraft, an dieses kleine, schüch- terne Mädchen ein bißchen Nächstenliebe auszustrahlen, das in der Einsamkeit zwischen Tannenwäldern, Moor und Heide seine Kinderzeit verleben mußte. Nachdem Marianne mit ihren ersten Arbeitgebern Kaffee getrunken hatte, zeigte ihr die Ehefrau ihren neuen Arbeitsbereich und erklärte die einzelnen Arbeiten, die auszuführen wären. Sie ging dann mit Marianne die Treppe hinauf zu einer Dachkammer, wo Marianne ihre Schlafstelle und ihren Aufenthaltsraum haben sollte. In dieser Dachkammer stand ein Bett und über dem Bett befand sich ein kleines Fenster zum Lüften. Es war so hoch, daß man auf einen Stuhl steigen mußte, um auf den Gutshof zu schauen. In der einen Ecke stand ein Tisch und ein Küchenstuhl, in der anderen Ecke, an der Tür, ein Hocker mit einer Waschschüssel voll Wasser .....
- im Winter fror das Wasser zu Eis, so daß Marianne große Mühe aufbringen mußte, ein Loch in das Eis zu bekommen, um eine Möglichkeit zum Waschen zu finden -

Als nun die Ehefrau dieses Zimmer an Marianne übergab, machte sie sie darauf aufmerksam, es sei für sie von Vorteil, daß das Fenster sehr klein und hoch sei, da könnte sie so leicht keiner belästigen. Dann stellte sie den kleinen Wecker auf 5 Uhr morgens und gab Marianne zur Kenntnis, daß sie pünktlich aufstehen müßte. Da ihr Mann auch Postmeister sei, müsse erst die Poststube sauber und warm sein, dann erst die Amtsstube. Um 8 Uhr müsse der Kaffee auf dem Wohnzimmertisch bereit sehen, damit sich ihr Ehemann um 9 Uhr ins Amtszimmer setzen kann.
Wie sie dann schon die Treppe hinunterging, rief sie noch nach oben : "Um 6 Uhr ist Abendbrotzeit, dann mußt Du mit einer sauberen und gebügelten Schürze in der Küche erscheinen."

Marianne war doch ein bißchen erschüttert von der Kälte dieser Frau, die kein bißchen Nächstenliebe in sich hatte. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und weinte sich erstmal ordentlich aus. Solche Unfreundlichkeit war sie nicht gewöhnt. Dann sah sie nach oben zu dem kleinen Fenster und dachte über diese Bemerkung nach. Was wollte die Frau eigentlich damit sagen, daß sie keiner so leicht belästigen kann ? Doch wohl nicht die Sonnenstrahlen ? Ja, die konnten sowieso das kleine Fenster nicht erreichen, denn ein großer Eichenbaum am Eingang des Gutshofes versperrte den Sonnenstrahlen den Weg. Und wenn das Mondlicht das Fenster erreichte, hatte es keine Kraft, sie im Schlaf zu stören. Aber die Sonne und der Mond, die taten doch den Menschen nichts Schlechtes an !
Dann dachte sie an den schönen großen Garten, der auch zum Haus gehörte, mit den schönen Stachelbeersträuchern, mit Johannisbeeren und Himbeeren und den vielen Erdbeerbeeten. Der ganze Garten gehörte auch mit zu ihrem Arbeitsbereich. Dort hatte die Sonne ja freien Lauf und freie Bahn, und wenn der Himmel nicht gerade wolkig ist, hätte sie Gelegenheit genug, sich an den Sonnenstrahlen zu wärmen und sich zu erfreuen.
So faßte sie wieder frischen Mut, entfernte mit einer Handvoll kaltem Wasser die Tränenspuren aus den Augen und erschien mit einem fröhlichen Gesicht am Abendbrotstisch.

Was aber die Frau mit der Belästigung gemeint hatte, erfuhr Marianne erst später im Leben. Sie lernte den Unterschied zwischen schlechten und guten Menschen, die ihr entgegentraten und daß es von den schlechten mehr gab als gute, auf Gottes Erdboden.

Lob und Tadel

Als Marianne am Morgen ihres ersten Arbeitstages alleine und traurig in der Küche stand, trat der Ehemann ein. Er begrüßte Marianne sehr freundlich. Wie er nun merkte, daß ihr alles noch so neu und fremd vorkam und sie sich so verlassen fühlte, zeigte er ihr alles, wo es zu finden war, was sie für all' ihre Arbeiten gebrauchen mußte. Marianne bedankte sich höflich und ging erleichtert an die Arbeit. Sie hatte vor keiner Arbeit Angst, denn sie war arbeiten gewöhnt und besaß eine große Freude dazu, schon von Kindheit an.
Der Vater hatte sie gelehrt, wie man die Arbeit anfassen und einteilen muß, um damit fertig zu werden. Ja, so schaffte sie es auch, auf die Minute ihre Arbeiten zu erledigen. Sie schloß die Fenster, die sie beim Saubermachen geöffnet hatte, der Gemeindevorsteher trat in die Amtsstube, klopfte ihr auf die Schulter und sagte in zufriedenem Ton :" Ja, so gefällst Du mir, Du schwarzhaariges kleines Mädchen, denn Deine Arbeiten hast Du prima ausgeführt, das hätte ich von Dir in Deinem Alter nicht erwartet !"
"Ja", sagte Marianne in einem freien, heiteren und dankbaren Ton, "das Arbeiten selbst und die Arbeit richtig einzuteilen und anzufassen, das hat mein Vater mich schon als Kind gelehrt. Er sagte immer zu uns, wer arbeiten kann und sie anzufassen weiß, der braucht sich nicht zu schämen. Arbeit schändet nicht und fördert die Gesundheit."
"Ja", bestätigte der Gemeindevorsteher, "da hat Dein Vater etwas sehr Gutes getan, denn Faulheit führt zur Charakterlosigkeit....."
Die Ehefrau zeigte Marianne später die Zimmer, die in nächster Zeit alle gründlich gesäubert werden müßten und Marianne mußte sehr gut aufpassen, damit sie auch alles richtig verstand. Sie wollte ja nichts verkehrt machen und die Frau sprach immer sehr schnell und sehr herrisch. Als alle drei ein paar Tage später beim Kaffeetrinken waren, sagte sie zu Marianne :"Du hast ja alles ganz gut gemacht, aber ich denke doch, daß es mit der Zeit etwas schneller gehen wird. Man muß ja auch noch daran denken, daß auch der große Garten noch da ist und sein Recht fordert, daß er gesäubert und gepflegt wird." Außerdem möchte sie morgens keinen Kaffee mehr kochen, sondern zum Kaffee gerufen werden, denn sie hätte ja jetzt ein Dienstmädchen.
Sie hätte es nicht mehr nötig, so früh schon aufzustehen, um Kaffee für ihren Ehemann aufzubrühen.
Das Mädchen antwortete in einem fröhlichen Ton : " Ja, liebe Frau, das ist doch selbstver- ständlich, ich werde es gerne übernehmen." Der Hausherr lächelte Marianne freundlich zu, als wollte er damit sagen, daß sie die richtige Antwort gegeben hatte. Wie Marianne dies merkte, da konnten die kalten Blicke der Ehefrau ihr nichts mehr antun. Sie richtete ihre Arbeit dann immer so aus, daß die Frau nichts zu meckern hatte. Wenn Marianne mit dies und das, was ihr noch fremd war, nicht so recht fertig werden konnte, dann holte sie sich vom Hausherrn Rat und Hilfe. Durch diese Hilfsbereitschaft war dann ein Vertrauen entstanden.

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