Eines Tages, als die Ehefrau bei ihrer Freundin  - Frau Riebling, eine Gastwirtschaftsfrau - zum Geburtstag eingeladen war und der Hausherr mit Marianne alleine am Kaffeetisch saß, da erzählte er ihr, er bedaure es sehr, daß er keine Kinder hätte. Sein einziger Bruder sei mit seiner Ehefrau durch ein tragisches Unglück ums Leben gekommen. Das einzige Kind, das sie hatten, war am Leben geblieben. Dieses Kind hätte er dann als sein Eigen angenommen, da aber seine Ehefrau keinen Sinn für Kinder hätte, so hätte er dieses Kind zu guten Bekannten gegeben, daß es gepflegt und erzogen würde. Da dieses Mädchen ja auch nicht mehr so klein sei, würde er ihr schreiben, mal zu ihm zu kommen. Sie würde hier ja passende Gesellschaft vorfinden und Marianne wäre auch nicht mehr alleine bei der Arbeit, wenn seine Ehefrau am Nachmittag zum Kartenspielen zu ihrer Freundin geht. 
Marianne war über diesen Plan, den der Gemeindevorsteher ihr anvertraut hatte, sehr glücklich und froh. Ja, aber auch etwas anderes machte sie froh : daß sie die erste Zeit als junges Dienstmädchen so gut überstanden hatte, bei einer kalten, herzlosen Ehefrau, die keine Kraft besaß, ein bißchen warme Nächstenliebe auszustrahlen............... 
Voller Jubel und Lustigkeit stimmte sie ein schönes Frühlingslied an, nahm die Gartengeräte und ging in den schönen großen Garten, um die übernommenen Arbeiten auszuführen. 
 
Wie dann eines Tages der Besuch mit einer Postkutsche und zwei großen braunen Pferden davor von der Stadtbahn Ohlstedt abgeholt wurde, die Postkutsche dann vor der Haustür stand und eine große schlanke Dame Marianne ihren kleinen Koffer reichte, da war Marianne doch ein bißchen enttäuscht. Es war kein Mädchen von 14 Jahren, so wie sie, sondern eine große schlanke Person von 18 Jahren, die in ihrem gut sitzenden grauen Kostüm wie eine vornehme Dame wirkte. Wie Marianne nun der jungen Frau den Koffer abnahm, sah diese    
wohl die Enttäuschung in ihrem Gesicht. Deswegen nickte sie ihr freundlich zu und sagte : 
"Oh, was hast Du für prachtvolles schwarzes Haar und so lange dicke Zöpfe ! So etwas Schönes habe ich noch nicht gesehen. Es ist wohl morgens sehr schwer, die Haare zu ordnen, aber ich werde Dir dabei behilflich sein. ". Marianne lächelte ihr freundlich zu und nickte mit dem Kopf. Dies sah auch Frau U. und wurde sehr böse. Sie sagte in einem herrischen Ton zu ihrer Nichte :"Ich bitte Dich, zieh' Dich um, mach Dich frisch zum Essentisch und dann unterhält man sich nicht so lange mit einem Dienstmädchen und läßt Onkel und Tante warten!" 
Dann drehte sie sich zu Marianne ." Ab morgen ist Dein Essenplatz in der Küche, wir haben ja jetzt Besuch. Da gehört es sich nicht, daß das Dienstmädchen mit uns gemeinschaftlich an einem Tisch sitzt !"  Als dies ihr Mann hörte, sagte er enttäuscht ." Aber liebe Frau, wie konntest Du so zu dem kleinen Mädchen sprechen, das hört sich ja so an, als wenn sie etwas verbrochen hat. Kann sie denn heute nicht noch mit uns in der Stube essen, denn in der Küche ist es ja kalt und sie wird sich verlassen fühlen." Da antwortete ihm seine Ehefrau in einem herrischen Ton :"Ja, heute noch, aber ab morgen in der Küche ! Sie ist ein Dienstmädchen und muß sich daran gewöhnen." 
 
Der Nichte war das Ganze nicht recht, aber sie war ja Onkel und Tante zu Dank verpflichtet , da mußte sie eisern schweigen. Sie nickte Marianne freundlich zu, aber so, daß die Tante es nicht merken konnte und es dauerte nicht lange, da waren die beiden Mädel die besten Freundinnen. Die junge Dame verstand es fabelhaft, die Tante zu täuschen und diese fand keine Gelegenheit, die Freundschaft zu zerstören.  
Wenn sie dann abends im Zimmer saßen und Marianne erzählte ihr von der romantischen Kinderzeit, die sie in großen Tannenwäldern, in der Einsamkeit von Moor und Heide verlebt hatte, dann war die junge Dame immer so begeistert, daß sie öfter sagte :" Oh, es ist so wundervoll, das alles zu hören. Es hört sich immer alles so an, wie im schönsten Märchenbuch !"  Eines Sonntags war Frau U. zu einer Geburtstagsfeier bei ihrer Freundin eingeladen. Der Gemeindevorsteher war zwar auch eingeladen, aber er hatte keine Zeit, er mußte schriftliche Arbeiten vorbereiten für eine Sitzung am nächsten Tag. Da Frau U. nun fort war, fühlten sich die beiden Mädel viel freier. Die junge Dame ging zu ihrem Onkel ins Büro und fragte ihn um Erlaubnis, ob sie nicht ein bißchen mit Marianne in die Heide und in den großen Tannenwald gehen durfte, wo das große Kaisermanöver 1905 stattgefunden hat. Dies hätte Marianne in ihrer Schulzeit miterlebt. Der Onkel willigte ein und bekam aus Dankbarkeit von ihr einen schönen Kuß auf die Wange. Die beiden Mädels versprachen, um 6 Uhr zur Abendbrotszeit wieder bei ihm zu sein. 
Der Onkel freute sich und war froh, daß seine Nichte eine gute Freundin gefunden hatte, denn seine Ehefrau konnte keinen Kontakt zu den beiden Mädchen finden. Er war wegen seiner Nichte schon sehr besorgt, denn er hatte sie früher schon ein paarmal dabei überrascht, wenn sie in ihrem Zimmer saß und weinte. Sie hatte ja Vater und Mutter so früh verloren. 
Er hatte längst gemerkt, daß sie in sich verschlossen war und um ihre Gesundheit Angst gehabt. So gab er nun sehr erleichtert seine Zustimmung. 
 
Die junge Dame faßte auch Marianne vor Freude um den Hals und die Tränen der Freude liefen ihr die Wangen herunter. Als die beiden dann den Tannenwald erreicht hatten und die scheinbar unendliche Heidefläche, die sich über Harksheide bis Quickborn erstreckte, über- blicken konnten, setzten sie sich auf einen kleinen Wall und die junge Dame machte ihr Herz ordentlich frei von der Last, die sie im Geheimen immer mit sich trug. Sie erzählte Marianne von dem Unfall, bei dem sie mit sieben Jahren Vater und Mutter verloren hatte und sie hätte nie wieder die warme Elternliebe verspürt. Die Menschen, zu denen man sie in Pflege gegeben hatte, waren alle lieblos, kalt und abweisend gewesen. Keiner hatte die Kraft, warme Nächstenliebe ausstrahlen zu lassen so daß sie bald versagt hätte, als die Tante ihr auch noch so kalt und lieblos bei der Postkutsche entgegen gekommen sei. Aber sie hätte in den klaren, dunklen Augen des kleinen, zarten Mädchens gleich die Wärme erkannt und gefühlt, da hätte sie mit einem Mal alles Schlechte überwunden.  
 
Sie erzählte dann auch noch, daß die Tante über Mariannes Mutter nicht gut gesprochen hätte. 
Sie könne es nicht begreifen, daß Mariannes Mutter so dumm und gleichgültig sei, sich so viele Kinder anzuschaffen. Die vielen Kinder bringen doch nur viel Arbeit und Ungemütlichkeit ins Haus. Die Frau würde nur mit Arbeit und Sorgen belastet und hätte nichts von ihrem schönen Leben. Auch würde sie später von ihren Kindern keinen Dank ernten, wenn sie mal älter ist.   
Marianne antwortete in tröstendem Ton ."Die Tante hat meinen Eltern sehr Unrecht getan. Wenn sie auch viele Kinder ernähren mußten, aber gehungert haben wir nie. Es war immer genügend kräftiges Essen auf dem Tisch, so daß sich jeder satt essen konnte. Wir sind zu guten, gerechten, ehrlichen und strebsamen Menschen erzogen worden. Mein Vater war immer fleißig, strenge und gerecht. Lügen und Schlechtigkeiten ließ er nicht durchgehen. 
Es mußte alles gleich "gereinigt" werden, damit er immer "klare Sicht" erhielt. Er setzte den Kern des "eisernen Willens des Schweigens"  schon früh in der Kinderzeit, der mit dem Wort "Gehorchen" entsteht und dem Menschen die Kraft gibt, alles geduldig zu ertragen, was das Schicksal einem im Leben entgegenbringt. Die warme Nächstenliebe haben wir nie entbehrt, Neid, Eifersucht, Charakterlosigkeit, Haß, Gleichgültigkeit und Faulheit kenne ich nicht." 
 
Sie sagte weiter :"Wir kamen vor unserer Schulzeit ja auch selten mit fremden Menschen zusammen. Nur der Jäger vom Gutshof, mit seinem treuen Jagdhund, der besuchte uns öfter 
in den "Dummejahn" an dem großen Tannenwald, wenn er auf Hasenjagd ging, um einen Sonntagsbraten zu haben." 
 
 
Ja, liebe Leser und Leserinnen, diese Tante, Frau U., die solche schlechten Bemerkungen gemacht hatte, hat gewiß keine gute Erziehung von ihren Eltern mitbekommen. Sie kennt gewiß keine warme Nächstenliebe von ihren Eltern und es scheint so, als wenn die Eltern von Frau U. sich nicht um die Zukunft ihres Kindes gekümmert hätten. So hat sich diese Gleichgültigkeit zum Schaden des Kindes ausgewirkt. Deswegen kann man immer wieder raten und sagen, es ist dem Kleinkind zum großen Vorteil, schon frühzeitig zu lernen, was die warme Nächstenliebe bedeutet und welchen Wert es in sich trägt.  Nur das Gute und Beste bricht sich Bahn frei und kämpft sich durch die Hindernisse hindurch. Beobachtet die Natur, die dem Guten den Vortritt gibt und das Schlechte ganz sachte beiseite schiebt. Damit das Gute die Freiheit bekommt und sich zu einem guten, starken Grundsatz entwickeln kann........   
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