EIN „BAUERNKRIEG" IM GUTE AHRENSBURG

Martin Wulf, 1968

Die uns heute so sagenumwoben erscheinende Leibeigen­schaft, die sich seit dem Mittelalter auf den Landgütern des Adels und der Geistlichkeit allmählich herausgebildet hatte, hatte als Kern ein sehr nüchternes Ziel:
die Arbeitskraft der Bauern möglichst weitgehend in den Dienst der Gutswirtschaft zu stellen, und der Adel war es, der dabei an die äußerste Grenze ging. Die ursprünglich persönlich freien Bauern wurden „an die Scholle gebunden", sie wurden „Hörige" und „Untertanen", unterstanden dem Gutsgericht, und auch in ihre mensch- lichen Beziehungen griffen ihre Grundherren weitgehend ein.
In Schleswig-Holstein war diese Entwicklung abgeschlossen, als der Adel im Jahre 1524 auch Gerichtsbarkeit „über Hals und Hand", die Hochgerichtsbarkeit, über seine Leute erlangte, während die Geistlichkeit gleichzeitig infolge der Reforma­tion durch die „Säkularisation" ihre Güter verlor.
Als daher der dänische König Friedrich II. im Jahre 1567 die „Kloster­vogtei Woldenhorn" des Klosters Reinfeld an seinen verdien­ten Feldobristen Daniel Rantzau übertrug, wurden die Be­wohner der Vogteidörfer Woldenhorn (das heutige Ahrens­burg), Bünningstedt, Ahrensfelde und Meilsdorf sogleich in strengstem Sinne Leibeigene. Peter Rantzau, Daniels Bru­der und Nachfolger, der Erbauer von Schloß und Kirche, und seine Gattin, „de dull Margret", verstanden es, diese Hörig­keit vollendet zu handhaben. Aber die schlimmste Not brachte den Ahrensburger Untertanen doch erst das Regi­ment des Gutsherrn Graf Detlev Rantzau, der schonungslos von 1715 bis zu seinem Tode 1746 auch die letzte Kraft seiner Leute für den „Hofdienst" heranzog. Seiner Meinung nach war er hierzu durchaus berechtigt, weil gerade zu seiner Zeit eine „Gutsreform" aufkam, die den Gütern durch weitgehen­des Roden ihrer Wälder neuen Kulturboden verschaffen soll­te. Aber er hatte sich bei diesem Unternehmen sehr in der Wesensart seiner Untertanen geirrt!

Inmitten freier herzog­lich-gottorfischer Amtsdörfer und der hamburgischen „Wald­dörfer" hatten sie sich einen ungebrochenen Geist der Frei­heit bewahrt, und so beantworteten sie seine Tyrannei mit einer erstaunlichen Kampfbereitschaft und Widerstandskraft, die schließlich zu „landkundigen" Prozessen vor den höch­sten Gerichten des Landes führte. Von diesem „Bauernkrieg", wie man ihn wohl durchaus nennen darf, soll hier erzählt werden:
Sogleich nach der Übernahme des Gutes begann der noch junge Detlev Rantzau mit dem Einschlag des ungemein gro­ßen Gutswaldes, von dem der Woldenhorner Pastor Eicke berichtete, daß man noch um das Jahr 1690 „anderthalb Mei­len von Nord ins Süd und von Ost zum West eine starke Meile des Sommers in Finsternissen des Schattens habe ge­hen und wandeln können". Den Geldertrag des bis 1746 all­jährlich fortgesetzten Rodens hat der Gutsherr selber auf mehr als eine halbe Million Taler berechnet, eine nach dem damaligen Geldwert gewaltige Summe. Um aber noch schnel­ler zu weiterem Hofland zu kommen, bildete er Wulfsdorf, das 1635 an das Gut Ahrensburg gekommen war, zu einem „Meierhof" um, als der Adel des Landes das „Bauernlegen" schon seit langem nicht mehr ausübte.

Die bisherigen Huf­ner wurden nun Insten (Tagelöhner) des neuen Neben­gutshofes, oder sie wurden zum Verdruß der dortigen Bau­ern nach Bünningstedt umgesiedelt. In ihrer Klageschrift von 1739 führen die gesamten Ahrensburger Leibeigenen daher an: die Streitigkeiten hätten begonnen, "da der Hr. Graf das Guth Ahrensburg in einen gantz andern Stand gesetzet, als nemlich derselbe allein die importanten Höltzungen in den letzteren Jahren fast gantz niedergehauen, und so viele von den Unterthanen zu bebauende Koppeln angelegt, daß statt der vormahligen 80, itzo 400 Kühe bey dem Hofe ge­halten werden; sondern auch das gantze Dorf Wullsttorp a 6 Hufen, in Bünningstedt zwey gantze und eine halbe, in Ahrensfeld eine gantze, und endlich in Woldenhorn 3 halbe Hufen nieder- in Bünningstedt dagegen nur 3 neue gantze an- und mithin in der That 7 gantze Hufen wüste geleget". Die „Meliorirung" wolle man ihm nicht verübeln, aber die gesunde Vernunft lehre, daß die vermehrte Arbeit von den verringerten Bauernstellen nicht geleistet werden könne. ­Detlev Rantzau aber pries demgegenüber die „Vorsehung, die zu den Hofdiensten Leibeigene hat werden lassen"! Bedenkenlos übte der Gutsherr sogar noch den mittelalter­lichen „Hofschlag", durch den die Ritter einst willkürlich Bau­ernland ihrem Hoffeld hinzugefügt hatten, als er 1719 den Bünningstedter Bauern eine Koppel zu nehmen gedachte, auf der sie gemeinsam das Lohnkorn für ihre Knechte anbauten.

Die Folge war die erste „offenbahre Rebellion" im Gut, wie Detlev Rantzau selber sie nannte. Die Bauern entfernten die schon gesetzten Grenzpfähle, „rottierten sich" in den fol­genden Nächten in einem Hause „mit ihrem Bauerngewehr" und verschworen sich, daß sie lieber „Leib und Leben, auch Guth und Blut hazardiren wollten, als die Veränderung an­zuerkennen. Gemeinsam mit den Ahrensfelder Bauern ver­klagten sie auch den Grafen „aufs neue" bei der „Regierungs­kanzlei", dem Obergericht für Holstein, in Glückstadt, wo schon, wie Detlev Rantzau bitter bemerkt, die Wulfsdorfer „durch eine mit lauter Lügen angefüllte supplique mich bei Ihre Majestäten dem König verklaget". - Doch seine Zähigkeit setzte sich durch. Nachdem man ihm in Glückstadt ein Schutz­kommando von einem Leutnant, einem Sergeanten und acht­zehn Soldaten - wenn auch nur ungern - bewilligt hatte, wurde im Juli 1720 die Koppel von 82 Paar „Hofdiensten" durch einen Erdwall vom Bauernland getrennt und die aufsässigen Bauern mit Zuchthaus, Gutsgefängnis und anderweitig be­straft.

Bis 1740 hatte Detlev Rantzau für das Hof- und Bauernfeld schließlich ein Verhältnis von 2,8:1 geschaffen; es war das schlechteste für die Leibeigenen Stormarns. Die Bünnigstedt-Revolte löste bei dem Gutsherrn aber auch Klagen über den „Ungehorsam und die Widerspenstigkeit" seiner Leute hinsichtlich ihrer Arbeit aus. Die Knechte kämen nach ihrem Belieben zum Hofdienst und „thun was und wie­viel sie wollen". Die Ahrensburger Untertanen hatten also schon zu der schärfsten Leibeigenwaffe gegriffen, der von al­len Gutsherren so sehr gefürchteten „passiven Resistenz", die die Gutswirtschaft zum Erliegen bringen konnte. Wenn Detlev Rantzau aber einen Schuldigen, den er bestrafen wollte, auf den Gutshof bestellte, so begleitete ihn die „ganze Dorfschaft". Sein Ansehen als Gutsherr leide schwer darun­ter. Den Anführern müßten die beiden Finger, mit denen sie ihm den Eid treuer Dienstbarkeit geleistet, aus der Hand ge­hauen werden, und sie müßten lebenslänglich in den Kerker.

Überhaupt waren „Leibstrafen" für Detlev Rantzau die Regel. So züchtigte er einmal aus geringem Anlaß einige Bauern „eigenhändig auf das heftigste mit der Knutpeitsche", und den im ganzen Gut als klugen Vermittler hochangesehenen Ahrensfelder Bauernvogt Peter Wriggers „verprügelte" er „hart", weil er sich von Pastor Eicke beim eintägigen Pflügen des Pfarrackers ein vorher übliches Mittagsmahl hatte geben lassen. Der bis ins letzte selbstbewußte Gutsherr war eben ­im Gegensatz zu anderen bar allen menschlichen Verständ­nisses für seine Untertanen; in seinen Augen hatte für ihre sämtlichen eigenen Lebensbelange das Wohl des Gutes schlechthin oberstes Gesetz zu sein. Für ihn war der Leib­eigene die „größte Pertinenz", das wegen seiner Arbeits­kraft wertvollste Zubehör des Gutes.
Daher suchte Detlev Rantzau auch jedes außerhalb Ahrens­burgs lebenden Hörigen wieder habhaft zu werden. Ein solcher war der im Gut geborene, aber seit seiner Jugend abwesende und in Hoisbüttel wohnende verheiratete Bauer und Gastwirt Claus Hütscher. Durch sein mehr als dreißig­jähriges Fernbleiben war seine Ahrensburger Leibeigenschaft längst verjährt, und er selber hielt sich für nicht an sie ge­bunden, weil seine Mutter als eine Freigeborene aus Oet­jendorf in das Gut hineingeheiratet hatte. Aus Furcht vor Detlev Rantzau aber ließ er sich unbedacht von diesem be­stimmen, seine Hörigkeit anzuerkennen. Als er sich jedoch, was durchaus möglich war, wieder freikaufen wollte, ließ der aufs höchste erboste Graf ihn in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1719 „aus seinem Hause und Bette" von acht bewaffneten Bediensteten entführen und noch am gleichen Tage durch neun seiner Leute „mit geladenen Röhren" ins Rendsburger Zuchthaus bringen.
Auf Drängen des Gerichts in Glückstadt mußte er ihn allerdings von dort nach drei Monaten wieder abholen lassen, aber in Ahrensburg sperrte er ihn wieder ein, wo ihn „weder Sonne noch Mond beschien".
Er hat ihn schließlich vermutlich wieder freigelassen, aber erst 1723 ge­stand er vor dem Landgericht aus „grace und generosite" zu, daß Claus Hütscher sich durch ein „Erlassungs-Geld" von seiner Hörigkeit freikaufen durfte. Der alte und kranke Mann war ihm wohl nichts mehr nütze. Der Graf hatte in dem zähen Kampf einfach mit einer Grundregel der Leibeigen­schaft gesiegt: daß die Ehe mit einem freien Partner auch den andern und die gesamte Nachkommenschaft unfrei mache.

Es hatte Detlev Rantzau auch keineswegs berührt, daß er durch seinen Menschenraub die hamburgische Gebietshoheit und damit die geltenden Reichsgesetze ver­letzt hatte. Der Waldherr in Wohldorf sowie Hamburgs Bür­germeister und Rat beschwerten sich zwar zunächst ernstlich bei ihm, aber sie ließen dem Streit mit dem gewichtigen Adels­herrn schließlich doch auf sich beruhen.
Solch einem wenig bedeutenden Einzelerfolg des Gutsherrn standen schwerste Verluste an arbeitsfähigen Untertanen gegenüber: Schon 1726 waren 120 meist jüngere Leute aus dem nur etwa 420 Einwohner zählenden Gut Ahrensburg ge­flohen, so daß Detlev Rantzau nicht ohne Grund fürchtete, sein Besitz könnte „mit den Jahren schier gäntzlich ruiniert werden". Viele seien nach dem nahen Hamburg und dessen „Frey-Dörfern", eben den Walddörfern, entwichen. Der dä­nische König meinte jedoch, daß manche Gutsherren ihren Untertanen „durch gar zu hartes Verfahren" zur Flucht An­laß gäben, und auch Detlev Rantzau möge geraten werden, die seinen mit mehr „Gelindigkeit" zu behandeln, als dem besten Mittel, sie „beim Hofe zu halten".

Die jüngeren Leute gingen auch deshalb oft auf und davon, weil die stets beim Gutsherrn nach Landesbrauch einzuholende Eheerlaub­nis sich ganz nach den Bedürfnissen der Gutswirtschaft rich­tete. Die Bauernsöhne erhielten sie erst, wenn der Vater in hohem Alter von der Stelle abtrat. Pastor Eicke klagte daher ernstlich: „Ahrensburg bekam also geschwind greise Köpfe und wenig junge Brut". Für ihn war dieser volksfeindliche Schaden „das Übel Ahrensburgs" schlechthin.
All diese chaotischen Zustände drängten endlich zwangs­läufig zum höchst schwierigen gerichtlichen Austrag, dessen guter Ausgang für die Untertanen jedoch von vornherein zweifelhaft war.
Zunächst tagte 1728 ein „Unparteiisches Gericht" auf dem Ahrensburger Schloß. Von einer einsichtigen Gerechtigkeit konnte hier unter Detlev Rantzaus Einfluß aber keine Rede sein. Sein bedeutender Rechtsanwalt Dr. Cirsovius verfocht bedenkenlos die Gutsbelange, und seine beiden landwirt­schaftlichen Gutachter, die als Gutspächter selber mit ihren Leuten Schwierigkeiten hatten, waren auch als Bürgerliche gegenüber dem einflußreichen Grafen befangen. Der tüchtige Hamburger Anwalt der Hörigen, Dr. Elend, und die „Syndici", Peter Wriggers und drei andere Bauern, hatten daher von vornherein einen aussichtslosen Stand. Ihren eingehend vor­getragenen Nöten hielt Dr. Cirsovius kaltlächelnd entgegen, daß das Verbessern des Gutes die Untertanen gar nichts angehe; man verlange von ihnen nur, daß sie „das ihrige treu und gehorsam verrichten", und es habe sich auch noch kein Ahrensburger Untertan „todt gearbeitet". So blieb denn als einziger Ausweg die beiderseitige Appellation an das Glückstädter Obergericht.

Auf Grund ausführlicher Druckschriften beider Parteien wird im Sommer 1739 in Glückstadt weiterverhandelt. Detlev Rantzau schil­dert die Arbeitsversehen und die Aufsässigkeit seiner Leute bis ins kleinste; wenn nicht gar seinen „totalen ruin", so erstrebten sie doch einen unerträglichen menschlichen Druck auf ihn. Alles Einsetzen von Militär habe nichts genützt; vor dem letzten Kommando von 2 Offizieren und 30 Mann seien sie „mit ihrem Bauerngewehr in Busch und Brook" (wohl den Duvenstedter Brook) „entwichen".
Die Bauern hin­gegen versuchten, an die Menschlichkeit zu appellieren: „ . . als Ew. Maj. allergeringste Knechte . . . schreien wir nach dem Gnadenarm wie ein Kind, das von einer ungerech­ten Stiefmutter auf allerlei tyrannische Arten gehalten, seine noth niemandem zu klagen weiß als seinem lieben Vater". Und nach Darlegung all ihrer Beschwernisse schließen sie: „Wir wissen und erkennen, daß wir durch die angeborene Knechtschaft unglücklich auf Erden sind . . und unter über­mäßiger Egyptischer Last seufzende seien".

Damit aber während des langwierigen Prozesses die Guts­arbeit nicht leide, hatte Pastor Eicke von der Kanzel ein Regierungsmandat zu verkünden, das die Untertanen an ihre Pflicht ermahnte. An diese wesentliche Verkündigung schloß er eine längere „liebreiche Vorstellung" an, wurde aber von einem Teil seiner kampferbitterten Hörer verlacht. Der Gutsherr jedoch ließ, um dem Gericht weiteren Anklagestoff zu bieten, seinen Gutsverwalter und die beiden Feldvögte von einem Hamburger Notar über das stets angriffslustige Verhalten der Knechte vernehmen. Sie brauchten, so hieß es, böse Schimpfworte gegen die Vögte während der Arbeit, und einer von ihnen bekundete ihren entschlossenen Eigenwillen höchst treffend mit den nüchternen Worten: „De Herr kann veel befehlen taten; wenn wy et man dohn wullen".

So sah sich die holsteinische Regierung in Kiel, an die der Prozess ebenfalls gekommen war, schließlich genötigt, eine Kommission von zwei adeligen Räten nach Ahrensburg zu entsenden, die den wahren Sachverhalt der Dinge feststel­len sollte. Sämtliche Bauern und auch die Knechte wurden verhört und die Felder begangen. Und nun erfahren wir die erstaunliche Tatsache, die die Armut leibeigener Bauern ­ebenso für andere Güter - einleuchtend erklärt: Auf den nicht großen Vollhufen wurden 8 bis 12 Pferde - davon 4 für den täglichen Hofdienst - gehalten, daneben aber nur 3 bis 4 Milchkühe, und auch auf den Halbhufen war die Pferdezahl kaum geringer. Ein übertriebener Haferanbau zu Ungunsten des Brotgetreides war die notwendige Folge. Trotzdem kam die Kommission zu dem nur aus dem Zeitgeist der Hörigkeit verständlichen Entschluß: „Und können wir nicht anders urtheilen, daß die Ahrensburgischen Untertanen in dem Stande sind, die von ihnen geforderten Dienste abzu­halten, und auch den 4ten Mann, wenn solcher nicht zu ofte gefordert wird, zu geben, nicht weniger ihre Hufen im Stande zu halten". Unter solchen Umständen scheiterte der von der Regierung auch nachdrücklich gewünschte Güteversuch völ­lig, und vor allem die Knechte gingen „mit Bezeigung einer ausnehmenden Wiedersetzlichkeit und Trotzes" ab. Nur der vom Grafen noch einmal vorgeforderte Peter Wriggers be­reute gezwungen sein bisheriges Verhalten.

Das Gericht aber fällte nun am 28. September 1740 ein dem Gutachten voll entsprechendes Urteil, ließ alles persönlich Unliebsame zunächst ungeahndet, drohte jedoch für den Wiederholungs­fall umso strengere Strafen an. Daß aber auch nach diesem Spruch, der letzten Endes nur ein „Pyrrhussieg" Detlev Rantzaus war, der Groll der Unter­tanen als verborgene Glut unter der Asche weiterglomm, erwies schon am 1. Dezember des gleichen Jahres ein Angriff von 12 Bünningstedter Knechten auf den ihnen besonders verhaßten Feldvogt Carsten Buck. Mit ihren Pflugstöcken prü­gelten sie ihn auf dem Felde fast zu Tode. Über die beiden Schuldigsten verhängte das Ahrensburger „Criminal-Gericht" eine Zuchthausstrafe von 8 und 4 Jahren, während die übri­gen, damit die Gutswirtschaft nicht allzu sehr leide, mit ­geringerer Ahndung davonkamen.

Die wirtschaftliche Notwendigkeit war es auch, die Det­lev Rantzau im Sommer 1741 zwang, seine entwichenen Leu­te - es waren immer noch 91 - zur straffreien Rückkehr ins Gut aufzufordern. Aber nur eine einzige ältere Frau folgte dem ungewohnt milden Angebot. So mußte wieder ein „Un­parteiisches Gericht" in Ahrensburg tagen, für das der Guts­herr sich auch diesmal einen bedeutenden Rechtsvertreter, den Hamburger Anwalt Paschen Cossel, ausersehen hatte. Ver­teidiger der Flüchtigen war der ebenfalls von Hamburg kom­mende tüchtige Dr. Altmann.
Zwischen beiden Männern kommt es nun zu einer zeitge­schichtlich höchst bemerkenswerten Aussprache über das We­sen der Leibeigenschaft überhaupt. Cossel vertritt noch ganz das Herkömmliche. Es sei „die einhellige Meynung der Rechts­Gelehrten, daß unsere heutigen homines proprii (Leibeigene) von den servis romanis (römische Sklaven) nur wenig diffe­riren". Das Staatswohl verlange für die Geflohenen, weil sie sich dem Ackerbau entzogen hätten, eine harte Strafe. Dr. Altmann aber denkt neuzeitlich. Der „Sachsenspiegel" verwerfe die Leibeigenschaft. Allzu große Strenge mache die Flucht sogar rechtlich. Die neueren Rechtslehrer spotteten auch über den an den Haaren herbeigezogenen Vergleich mit römischen Sklaven. Das Staatswohl habe auch jeden in seinen Rechten zu schützen. Er verlange daher völlige Straf­freiheit für die Entwichenen.
Für Cossel aber bleibt die Flucht ein „Verbrechen„ und er stellt auch die durchaus be­rechtigte Frage, mit der er die Hörigkeit jedoch ungewollt selber verdammt: „Wenn es jedem Unterthan zustände zu entscheiden, ob er bei harter Behandlung fliehen dürfe, wie viele Leibeigene sollten wir wohl binnen Jahresfrist in diesen Herzog- thümern übrig behalten?"
Schließlich kehrten tat­sächlich vier Erwachsene mit zwei Kindern zurück, und Detlev Rantzau gewährt ihnen, wie auch der älteren Frau, groß­zügig die Freiheit.

Damit enden für die fünf letzten Lebensjahre des Gutsherrn die düsteren Kampfbilder. Unfroh ist diese Zeit aber gewiß auch für beide Teile weiterhin geblieben. Detlev Rantzaus so heiß angestrebte Gutsreform hatte durch den ständigen Streit zu hohen Schulden geführt, weil sie mit den bis aufs äußerste getriebenen Mitteln eines überholten, völlig unso­zialen, letzten Endes sogar unmenschlichen Wirtschaftssy­stems erreicht werden sollte.
Sein Sohn Christian Rantzau, der die Leibeigenen zwar schon seine „Nebenmenschen" - Mitmenschen - nannte, aber gleich­falls nicht völlig mit ihnen zurechtkam, verkaufte schließlich sein großes verschuldetes Gut an den reichen Kaufmann Heinrich Carl Schimmelmann. Und unter diesem weitsichtigen Mann, der später Dänemarks „Schatzmeister" wurde und der bekannte, daß Ahrensburg seine „ganze Liebe gehöre", wur­de auch das Los seiner Leibeigenen erträglich. Pastor Eicke aber bekundete seine Freude über das neu sich entfaltende Gutsleben mit den begeisterten Worten: Ahrensburg sei jetzt ein „irdisches Paradies" zu nennen.


Soweit der Originaltext. Daß Heinrich Carl Schimmelmann der größte Sklavenhalter seiner Zeit war, hat der Autor wohl nicht gewußt.



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