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Der Blick hinter die Kulissen : ein offener Brief

Viel Arbeit und viel Freude

"Hast du eigentlich viel Arbeit ?" fragst du mich, liebe Sonja. Was soll ich da antworten ?

Mein Beruf ist Hausmann. Die Kinder sind inzwischen groß und wohnen nicht mehr zu Hause. Was nun zu tun bleibt, kennst du auch : Staub wischen, Wäsche waschen, einkaufen, aufräumen usw. usw.     Meine Frau hat ihren Beruf und abends kann sie sich ausruhen.
Aber der Haushalt füllt meinen Tag nicht aus, das kann unmöglich der Sinn meines Lebens sein. Wenn mich dereinst der Herrgott fragt : "Was hast du aus deinem Leben gemacht ?", soll ich da antworten : "Staub gewischt "   ???
Nein, da habe ich mich an meine alten Kenntnisse als Programmierer erinnert und mir eine passende Aufgabe gesucht. Es sollte etwas sein, was man ohne Zwang machen kann, damit man nicht so gebunden ist, etwas, das Spaß macht und sinnvoll ist, etwas, das wenig Geld kostet und den eigenen Horizont erweitert und etwas, das man nicht hinterher wegwirft wie ein ausgefülltes Kreuzworträtselheft.

So kam ich zur Ahnenforschung. Da werden Unterlagen erstellt und von Generation zu Generation weiter gegeben. Man baut auf den Arbeiten der (inzwischen verstorbenen) Vorgänger auf, erweitert und verbessert sie und gibt sie wieder an die Bibliothek, für die nächste Generation.
Außerdem kann man sie ins Internet geben, für die heutige Generation.

Nun habe ich hier tausende von Fotokopien und Haufen von Abschriften, ordentlich zu Dutzenden von Ordnern gebündelt, dazu etwa 30 - 50 Bücher und vielleicht auch so viele Briefe liegen.
Irgendwo fängt man mit der Arbeit an, z. B. eine Handschrift in den Computer zu tippen. Nach ein paar Wochen wird das aber ziemlich langweilig und man beginnt etwas ganz anderes. Zum Beispiel Verbindungen zu finden, von einer Familie zur anderen. Wenn man irgendwann genug davon hat, möchte man mit der ersten Arbeit fortsetzen, aber da kommt eine email mit einer Frage zu einer bestimmten Familie und man durchsucht die Unterlagen, beantwortet die Frage, macht jemand damit glücklich und merkt, daß da noch mehr Abschriften sind, die auch zu dieser Familie passen können und man tippt das auch ab.
Das war nun dummerweise eine ganz andere Akte wie am Anfang, und man hat nun 3 angefangene Vorgänge. Welche soll man nun beenden ? Wieder die erste ? Okay, aber nun kommt die nächste Unterbrechung und das Spiel beginnt von vorn.


Alle diese Aufgaben waren mit Denkarbeit verbunden, aber nun ist es mal spät geworden, ins Bett magst du noch nicht und im Fernsehen ist auch nichts gescheites. Also nimmt man sich eine Arbeit, die gaaaanz leicht ist, da braucht man überhaupt nicht zu denken. Auch solche Arbeiten fallen hierbei an.

Dann kommt eine email an, aber da ist keine Frage, sondern da sind Daten zur Ergänzung. Liegen lassen oder gleich erledigen ? Zumindest erstmal bedanken und nun ist etwas unklar und man fragt nach. Mittlerweile meldet sich www.ebay.de oder www.booklooker.de und hat ein sehr interessantes Buch für mich.
Prima, das wird gekauft, das kommt auf den Stapel der anderen Bücher mit den vielen interessanten Daten, die ich auch übernehmen möchte. Es ist ja so, daß sich die Daten ergänzen, wenn man möglichst viele Quellen benutzt.
Wieviele angefangene Arbeiten haben wir nun ? 6 ? 10 ??? Bei mir sind es, nach etlichen Jahren, mehrere Dutzend geworden. Genaugenommen ist gar nichts richtig fertig, denn mir ist eingefallen, mein Schema zu verbessern und nun muß alles was von früher stammt, angepaßt werden.
Das ergibt zwar keine neuen Informationen, aber es wird übersichtlicher und computergerechter für eine spätere besondere Auswertung.

Da ich eingesehen habe, daß ich das Ziel wohl zu hoch steckte und alleine nicht schaffen werde, habe ich um Hilfe gebeten und auch welche bekommen. Es werden immer mehr und inzwischen spreche ich schon vom "Stormarn-Team". Diese Helferinnen und Helfer müssen nun angelernt werden, bis sie mit dem Schema gut vertraut sind. Wie ich gerade mitten in einer Arbeit bin, schickt mir ein Helfer seine ersten fertigen Datensätze. Die müssen nun geprüft, korrigiert und eingearbeitet werden. Möglichst bald, man kann ja seine Helfer schlecht warten lassen.
Es sind auch schon wieder emails mit Fragen und Daten eingetroffen.... da gibt mir die Postbotin einen dicken Umschlag. Was ist drin ? Eine Ahnentafel, von einer fremden Frau, die das Projekt gerne unterstützen möchte. So, wo macht man nun zuerst weiter ????

An dieser Stelle breche ich ab, denn ab jetzt wiederholt sich das Ganze. Es ist kein Wunder, daß manche emails lange unerledigt liegen bleiben. Das ist mir zwar unangenehm, aber nicht zu ändern. Ich habe sogar mal die Internetseiten für 10 Monate geschlossen, um eine Pause zu haben. Da kamen dann emails mit Bitten um ein "Hintertürchen" und nach der Wiedereröffnung haben so manche aufgeatmet !
Also.... viel Arbeit habe ich schon, aber ich mache es freiwillig und es macht Spaß.
Aber jetzt kommst du mit einer zweiten Frage :

Wieso macht dir das denn Spaß, wenn es doch langweilig ist ?

Ja, ich gebe zu, manchmal wird es langweilig, aber das ist ja nicht immer so. Ich habe dir auch noch nicht von der Freude erzählt...

Da ist die Freude, etwas zu tun, was noch keiner vorher gemacht hat. Die erwähnten Vorgänger haben immer nur kleine, eng begrenzte Arbeiten gemacht. Wir, also meine Helfer und ich, fassen nun diese Einzelarbeiten zusammen und machen ein neues großes Ganzes daraus. Es ergeben sich nun neue Erkenntnisse über die Familien und sogar über geschichtliche Zusammenhänge.
Bei den Einzelarbeiten war der Horizont begrenzt, jeder hatte sein kleines Gebiet. Denk dir mal einen Eimer, gefüllt mit Wasser. Jedes Buch, jede Unterlage ist so ein Eimer voll. Wir füllen das alles zusammen in eine große Badewanne ! Es finden sich nun Familien, die an unterschiedlichen Orten wohnten, quasi mal in dem einen "Eimer", mal im anderen "Eimer" zu finden waren. In jedem Ort wurden ein paar Kinder geboren. Nun ist die Familie plötzlich komplett. Oder... ein Sohn wandert in einen anderen Ort, seine Tochter zieht es wieder zurück an den ersten Ort. Das war vorher nicht erkennbar. Ein Gutsherr teilte sein Land in Parzellen auf und verpachtete diese. Die neuen Pächter strömten von überall her... in der "Badewanne" finden sich alle wieder. Es gibt weitere Beispiele.
Außerdem entdecke ich dabei Quellen, die bisher noch niemand genutzt hat :
... die Zuchthaus - Gebühr für Brautleute im Amt Tremsbüttel, ab 1746
... die Mitgliederliste der Totengilde von Bargteheide, ab 1744
... den Brief an das Amt Steinhorst mit den inzwischen verschollenen Trauungen von Eichede, ab 1721
... das Hausbuch von Wandsbek, ab 1630, und noch weitere Archivalien.
Je älter die Akten, desto schwieriger sind die Zusammenhänge zu ergründen und das ist oft richtige Detektivarbeit. Sowas macht mir mehr Spaß, als Verzeichnisse von 1850 abzutippen, obwohl diese viel dringender gebraucht und gewünscht werden.

Da ist die Freude, anderen eine Freude zu machen. Viele können ihre Ahnen nicht erforschen, weil sie gar nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Da sind zum Beispiel viele Amerikaner, Südamerikaner, Australier und andere, die nur wissen, daß ihre Vorfahren aus Deutschland eingewandert sind. Manchmal wissen sie : es war aus Schleswig-Holstein, manchmal kennen sie sogar den früheren Wohnort. Jetzt können manche durch unsere Arbeit entdecken, daß sie ihre Vorfahren endlich nach langer Suche gefunden haben. Welche Freude das auslöst, schreiben sie in ihren emails. Natürlich teilen sie gerne ihr Wissen mit uns und wir notieren, wer nach USA oder Brasilien auswanderte, wann und wohin, und was aus ihnen wurde.
Genauso gibt es einheimische Ahnenforscher, die vielleicht an einem "toten Punkt" angekommen sind und nun durch unsere Arbeit wieder weitermachen können. Auch das löst Freude aus, die sich z.B. in der spontanen Begrüßung äußert : "Ach SIE sind das ? Da muß ich Ihnen erstmal kräftig die Hand schütteln, ich habe mich sooooo gefreut..."

Da ist die Freude, etwas zu schaffen, das bleibt. Wenn du Staub wischt, ist das nach wenigen Tagen nicht mehr zu sehen. Wenn du wäscht, ist die Wäsche nach wenigen Tagen wieder schmutzig. Wenn du etwas spielst, macht das auch Freude, aber nach dem Spiel ist eben nur diese Freude da, nichts greifbares. Wir produzieren etwas, das vielleicht noch in fünfzig Jahren benutzt wird und Freude machen wird. Wir produzieren Unterlagen, die den Charakter von Büchern haben und machen davon, wenn sie fertig sind, vielleicht zehn Exemplare und verteilen sie an die Archive. Die heimatlichen Archive haben jetzt schon ihre unvollständigen "Probeexemplare". Und wir machen Internetseiten, die kann man schon betrachten noch bevor alles fertig ist und sie werden ständig ergänzt und verbessert.
Diese Internetseiten können ja weitergegeben werden. Wenn ich nicht mehr kann, pflegt sie der / die nächste.

Da ist die Freude, seinen Verstand einzusetzen und die "kleinen grauen Zellen" ordentlich auf Trab zu bringen. Wie erwähnt ist es sinnvoll, mehrere Quellen zu benutzen. Das hat aber auch seine Tücken, denn manchmal scheinen sich die Quellen zu widersprechen. Das kommt daher, daß alle Quellen etwas ungenau sind. Zum Beispiel wurde ein Kind oftmals nicht nach seinem Taufnamen gerufen, sondern nach seinem Alltagsnamen, und der hat auch mal gewechselt. Aus "Catharina Margaretha" wurde "Anna Catharina" und gelegentlich nur "Anna". Und schon bist du im Zweifel, ob es dieselbe Person ist. Auch Nachnamen sind uneinheitlich geschrieben. Weißt du den Mädchennamen deiner Mutter ? Auch, wie er genau geschrieben wird, oder nur ungefähr ? In den Kirchenbüchern steht unter einer Beerdigung oft nur das, was die Hinterbliebenen zu sagen wußten, das war oftmals aber eher geraten. So auch bei den Altersangaben. Weißt du selber genau, wie alt dein Großvater ist ? Oder nur ungefähr ? Und wieder ist man im Zweifel, ob zwei Personen vielleicht identisch sind...

So setzen wir (das "Stormarn-Team") nun die Puzzlesteinchen aneinander. Es sind -zigtausende und viele davon sind doppelt, aber das muß man erst einmal erkennen. Und natürlich hat auch unsere "Badewanne" ihre Grenzen und irgendwann brauchen wir andere "Badewannen", um weitere Fragen zu klären.
Ein Kreuzworträtsel ist dagegen langweilig....

Fröhliche Grüße von Peter (Dörling)


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