Die Glashütte in der Tangstedter Heide

Baron Sir Cyrill von Wich, seit 1714 Schwiegersohn des Gutsbesitzers Magnus von Wedderkop und damit neuer Gutsbesitzer des Gutes Tangstedt, versuchte um 1740, die Torfvorräte in der Harksheide wirtschaftlich zu nutzen. Er hatte wohl davon gehört, daß es den Glasmachern gelungen war, durch einen neu gestalteten Brennofen statt Holz auch Torf zur Erzeugung der erforderlichen großen Hitze zu konstruieren. Solche Öfen soll es ab 1700 in Muggesfelde und 1734 in Pojenberg und Böken bei Nortorf gegeben haben. Letztgenannte Glashütten wurden aber nach 6 Jahren wieder geschlossen.
Er schickte seinen Inspektor Brykner zur Glashütte im Gut Muggesfelde Kirchspiel Schlamersdorf, Amt Segeberg und ließ dort Leute anwerben. Es kamen die Familien Börner, Erich, Meyer und Wentzel. Ebenso kamen Glasmacher aus Böken bei Nortorf. Auch die Namen in den Kirchenbüchern von Nortorf finden sind in den Kirchenbüchern von Bergstedt wieder, es sind die Familien Albrecht, Börner, Moth, Vogler und Wentzel. (Anm.3)
Die Glasmacher bekamen am Rande des Gutes Tangstedt, in Tangstedterheide, Land zugewiesen und bauten dort ihre Glashütte und Wohnhäuser. (Anm.1)
In einigen Fällen läßt sich nachweisen, daß die Glasbläser ursprünglich aus Mecklenburg -Vorpommern stammten. So steht im Todtenbuch von 1770 bei Mathias Wentzel : "geb. in Müsselmow im Mecklenburgischen, 67 Jahre alt". Laut Auskunft des Landeskirchlichen Archivs in Schwerin wurde er geb. am 2.9.1704 in Kladow in der Nähe von Müsselmov, seine Eltern waren der Hohlglaser Frantz Jost Wentzel, Kladow/Mecklenburg, und Catharina Elisabeth geb. Krabbers.
Anthon Caspar Moth war "Glasmacher, aus Dassau in Mecklenburg gebürtig". Michel Benjamin Meyer stammte lt. Trauung 1748 aus Pritzier / Mecklenburg.

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Tangstedterheide wurde 1896 in Glashütte umbenannt und ist heute ein Ortsteil von Norderstedt. Die Gebäude stehen nicht mehr, man findet heutzutage nur den Straßennamen "op de Hütt" und einige weiße und grüne Scherben, der Glashütter Heimatforscher Walter Lembke soll eine Sammlung davon besitzen. (Anm. 2 und 3)
Das Gutsarchiv wurde leider 1947 ein Raub der Flammen, als das Gutshaus abbrannte. Als letzte Zeugen dienen uns nur wenige Einträge in Gerichtsakten und in Kirchenbüchern.

1) Auszüge aus Gerichtsakten und ähnlichem
Im Jahre 1794 beschwerten sich die Torf­bauern aus Harksheide und Tangstedterheide über eine neue Abgabe, den "Torfschilling". Das Ober­gericht in Glückstadt beschäftigte sich mit dem Vorgang, zu dem der ehemalige Gutspächter Brykner eidlich vernommen wurde. Hier ein Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll :
"Er heiße Franz Maximilian Brykner, sey 88 Jahre alt, wäre von Maytag 1754 bis Maytag 1780, mithin 26 Jahre auf Tangstedt Pensionair (Pächter) und Inspec­tor gewesen und über 60 Jahre im Gute bekannt, auch sey dem Deponenten (Aus­sagendem) alles, was in diesen Jahren daselbst vorgefallen, sehr gut bekannt. Es wären ihm als Pächter und Inspector die oekonomischen Angelegenheiten daselbst übertragen, und wären damals zur Harksheyde nur wenige Eigenthumsstellen gewesen; er habe die erste Einrichtung der Glaßhütte gemacht.
Der Herr Envoyé von Wich habe Leute von Muxfelder-Glaßhütte als Michel Meyer, Matthias Wentzel, dessen Bruder, der todtgeschossen worden, den alten Bürner Erich usw. kommen lassen und ausgelöset, welchen damals Häuser angewiesen sind; die andern Leute auf der Harksheyde wären von dem Herrn von Wich persuadiret (beredet worden), sich daselbst anzusiedeln und aus dem Torfmohr ihren Verdienst zu machen ...." (Anm.4)

Die Glashütte ist offenbar 1741 gegründet worden. Sie wird in einem Bericht von 1741 des Kaiserlichen Notars zu Uetersen, Matthias Christian Knickebein erwähnt, der die Besitznahme Tangstedts und der Glashütte durch Frau von Hollmer schriftlich festhält. (Anm.5)
Auch der erste Eintrag in den Kirchenbüchern zu Bergstedt bezüglich der Glasbläser stammt von diesem Jahr. Der Glasmacher Mathias Wenzel erhielt 1746 die Brau- und Schankerlaubnis und baute südlich des heutigen Wilstedter Weges die erste Gastwirtschaft. (Anm.6)

Das Ende der Glasfabrikation kann nicht genau festgelegt werden. Es gab ein "Contractenbuch" in Privatbesitz mit einer Notiz von 1773 : "von itzo an werden wegen des Hauses und Kruges drei Thaler so lange bis die Glashütte in vollem Gange wieder ist, erhoben." (Anm.6)
Aus dem Tangstedter Gerichtsprotokoll vom 28.10.1777 geht hervor, daß der damalige Besitzer der Glashütte, Matthias Jochim Moritz, zum Konkurs genötigt wurde, da 1500 Mark Kapital, die Gerhard de Vlieger zu Hamburg in der Hütte belegt hatte, von dessen Erben gekündigt wurden.
Unter dem 4.5.1779 ist im gleichen Protokoll festgehalten, daß das "vormalige Glashüttenwesen" öffentlich verkauft sei. (Anm.7)
Einige Glasmacher blieben als Siedler im Ort, andere sind bereits ab 1753 nach Norwegen gereist und gründeten dort zusammen mit Glasbläsern aus Mecklenburg eine neue Glasindustrie. Es liegen Kopien der Arbeitsverträge von Johann Jörgen Wenzel, Hans Wenzel und Henrich Irrich (= Erich) vor. Manche Namen tauchen später wieder in Tangstedterheide auf, es ist möglich, daß die von Mecklenburg nach Norwegen ausgewanderten Glasbläser ihre Verwandten aufgesucht haben oder daß manche Tangstedterheider Glasbläser einfach zurückgekehrt sind. Das ist bei der Ähnlichkeit der Namen nicht einwandfrei festzustellen.
1774 wurde in der Bergstedter Kirche ein Kind konfirmiert von dem es heißt "ist als Kind aus Norwegen gebracht" (Anm.8)


2) Auszüge aus den Kirchenbüchern

1741 schrieb Pastor Krapp in das Todtenbuch der Kirche Bergstedt :
        "Johann Vogler war der erste, welcher von den Leuten auf der Harxheider (gestrichen)
        Tangstedter Glaßhütte starb d. 17. Nov."
1743 den 12. May wurden getraut "Heinrich Erich cum Sophia Elisabeth Meyer, beide von der
        Tangstedter Glaß Hütte"
1748 d. 14. Nov wurden copulirt (getraut) Michel Benjamin Meyer (und) Agneth Elisabeth
        Bruers (vermutlich = Brauer) von den Glaßhütten"
1754 d. 22.10. starb Margreth Elisabeth Wentzel, "des Vicemeisters Tochter von der Glashütte,
        20 J. alt""
1760 den 25. Okt. starb "Johann Caspar Albrecht von den Tangstädter Glashütten, im 61.
        Jahr seines Alters".
1761 am 6.4. starb Hans Hinrich Wentzel, "Glasmacher bey den Tangstädter Glashütten."
        "Er hatte den 2. Aprill das Unglück, als er nach Wulksfelde gehen wollte, daselbst zu angeln,
        einem Selbstgeschosse, das der Holländer (= Meiereipächter) zu Wulksfelde unvor-
        sichtiger Weise hatte liegen laßen, da er es bey der Nacht gegen die Ottern gebrauchet,
        zu nahe zu kommen, ward von demselben im Bein tödtlich verletzet und mußte einige
        Stunden ohne alle Hilfe liegen bleiben. Man brachte ihn nach Hause .... wo er am 6. Aprill
        gestorben ist, seines Alters 52 Jahr ."
1763 starb Anthon Caspar Moth "Glasmacher, aus Dassau in Mecklenburg gebürtig, 72 J. "
1773 den 22.12. wurde getauft "Hans Hinrich Henning, des Glasmachers Matthias Henning
        Moth u. Maria Elisabeth geb. Harders von der Tangstedter Glas-Hütte Sohn"

3) Die Familien

Folgende Glasmacherfamilien in Tangstedterheide wurden bekannt :
BER1-10540 Johann Caspar Albrecht und Margreth geb. Arnold
BER1-10740 Jacob Bahran, Schreiber auf der Glashütte, u. Catharin Maria geb. ... ?
BER1-12120 Johann Matthias Börner (auch: Berner) u. Catharina Dorothea geb. Hering
BER1-12130 Hans Hinrich Börner und Magdalena geb. ... ?
BER1-12150 Johann Friedrich Valentin Börner und Catharin Elisabeth geb. Haack
BER1-15930 Georg Friedrich Bartram Erich (auch: Ehrich), der vermutlich seine Eltern mitbrachte,
        und Margareth Elisabeth geb. Böge
        1791 starb er als "Witwer, ehem. Glasmacher, geb. aus Gut Kühren Ksp. Preetz, alt 76 J."
BER1-15920 vermutlich die Eltern von obigem,
        begraben 1757 als "alter armer Mann von der Glashütte, gratis beerdigt" und
        begraben 1761 als "Elsebe Erichs von der Glashütte, im 87 Jahr alt (Armenseite)"
BER1-15940 Henrich Erich (auch: Ehrich) und Sophia Elisabeth geb. Meyer
BER1-26720 Friedrich Cornelius Meyer, der vermutlich seine Eltern mitbrachte,
        und Hedewig Margaretha geb. Kielman
BER1-26710 Johann Henrich Meyer und Anna geb. ... ?, vermutlich die Eltern von obigem,
        begraben 1750 "von der Glashütte, 69 J. alt" und
        begraben 1757 "alte Frau bei der Tangstedter Glashütte, 75 J. alt"
BER1-26740 Michel Benjamin Meyer und Agneth Elisabeth geb. Bruers / Brauer
BER1-26730 Henrich Meyer , Knecht, "hat Frau und Kind in Mecklenburg zurückgelassen"
BER1-27260 Anthon Caspar Moth und Maria Dorothea geb. Latschen / Latz
BER1-34415 Johann Vogler , gest. 1741
BER1-36330 Matthias Wentzel / Wenzel (auch: Wendt) und Catharin Magdalena geb. ... ?
BER1-36340 Hans Hinrich Wentzel und Margaretha Catharina geb. Bätger
BER1-36350 Johann Jürgen Wentzel und Ida Magdalena geb. Moth
BER1-36370 Hans Balthasar Wentzel und Christin Magdalena geb. Siegmund
BER1-36380 Friederich Wentzel und Maria Elisabeth geb. Albrecht
BER1-36390 Hans Henrich Wentzel. Er unterschrieb 1753 einen Glasmacher-Vertrag in
        Sandsvaer / Norwegen, heiratete dort 1756 Maria geb. Larsdatter, war aber 1759 (zurück ?)
        in der Tangstedter Glashütte
BER1-36400 Hinrich Wentzel starb als Glasmacher-Geselle 1763 im Alter von 26 Jahren

Außerdem gab es eine Reihe Personen, die "auf der Glashütte" oder "bey der Glashütte" lebten,
aber vermutlich keine Glasbläser waren sondern eher Arbeiter, Knechte und Mägde:
BER1-13195 Johann Brauer, gest. 1762, geb. in Mecklenburg, war vermutlich verheiratet
BER1-17300 Anna Christina geb. Rinck, ab 1762 verh. mit Gerckens
BER1-17510 Jürgen Hinrich Gothmann u. Dorothea Sophia geb. Wentzel
BER1-18130 Titus Harder und Anna geb. Schmalfeld
BER1-26000 Johann Loose und Anna Catharina geb. Krampe
BER1-30280 Marx Michel Roselund und Christina Cathr. Maria geb. Tapper
BER1-33564 Johann Tapper und Anna geb. ... ?
BER1-33570 Marcus Tapper und Anna Elis. Juliana geb. Hintzen
BER1-38120 Sophia N.N. , gest. 1764

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Zusammenstellung durch Peter Dörling, 22851 Norderstedt-Glashütte, Mittelstr. 50
am 26.5.2008

Anmerkung 1: siehe Kirchenbücher der Kirchen Schlamersdorf und Warder
Anmerkung 2: siehe Ilse Völker, Tangstedter Historien, 1991, Seite 9
Anmerkung 3: siehe Heike Linde-Lembke, Festschrift zum 100. Jubiläum von Norderstedt-Glashütte,
        Herausgeber: Verlagshaus Meincke GmbH, 1996, Seiten 7-11
Anmerkung 4: siehe Otto Kröger, Chronik der Gemeinde Harksheide, 1963, Seiten 228/229
Anmerkung 5: siehe Bramfeld-Poppenbütteler Zeitung vom 27.7.1935
Anmerkung 6: siehe Karl Heinz Schmidt / Marlen von Xylander, "Eine weit verstreute Siedlung",
        Chronik Tangstedterheide / Glashütte bis 1936, Stadtarchiv Norderstedt, 2000.
        Das Quittungsbuch war im Jahre 2000 im Besitz von L. Frahm, das Contractenbuch
        ist verbrannt
Anmerkung 7: Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt.129,5 Nr. 34 Seiten 32 und 136
        zitiert nach Harald Richert, Glashütten und Glasmacher im südöstlichen Holstein und Hamburg.
        in: Zeitschrift für Niederdeutsche Familienkunde, Heft 6, 1979
Anmerkung 8: siehe De gamle privilegerte norske glassverker og Christiania Glasmagasin 1739-
        1939, G.E. Christiansen, Oslo 1939, sowie Auskünfte des Reichsarchivs Oslo und
        Auskünfte der Nachkommen der Glasmacher in Norwegen und Dänemark


Weitere Literatur:
"Glashütte" ein Artikel im Jahrbuch des Alstervereins , 11. Jg. 1911 S. 15 ff.
"Von untergegangenen Gewerben in unserer Heimat : 1) die Glasbrennereien" von Rolf Rosenbohm,
        Rendsburg, in : Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, 1957
"Das Geheimnis, mit Torf Glas zu brennen" von Karl Hucke, Plön
        in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, 1974
"Überblick über die ehemalige Glasindustrie in und um Lübeck" von Theodor Hach,
        in: Zeitschr. d. Vereins für lübeckische Geschichte, 8. Band, 1900 S. 217 ff



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